Heute habe ich das erste Mal mit einer Tasse Kaffee in der Hand vor dem Haus gesessen.
Leichter Dampf stieg aus der Tasse auf. Vorsichtig nahm ich einen ersten Schluck und schloss die Augen. Der frühe Morgen verströmte eine friedliche Stille in diesen letzten Ferientagen. Die Luft war klar und frisch.
Der Herbst nahte. Morgens blieb es bereits länger dunkel. Die hellen Steinstufen waren noch kühl von der Kälte der Nacht, doch die Morgensonne entfaltete bereits jetzt ihre wärmende Kraft. Vom nahen Feld kam das Geräusch eines Treckers als ein Auto die Kieseinfahrt hochgefahren kam.

gestern, 29.08./13

Frühstück mit Aussicht

Der Umzug stand bevor.
Ein letztes Mal sah sie sich in den liebgewonnenen Räumen um.
Ein fahles Licht fiel durch die frisch geputzten Fenster. Es roch nach Farbe. Die Vorfreude auf das Neue mischte sich mit Wehmut. Hier war sie, nein, – waren sie drei Jahre lang glücklich gewesen.

Ein „wir“ gab es nun nicht mehr. Hans war bereits vor drei Monaten aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Nun war es an der Zeit, dass auch sie ihren eigenen Weg ging.
Mit einem Schulterzucken verließ sie das leere Zimmer und wechselte in die Küche.
Sie blickte in den Garten zu dem alten Apfelbaum. Bilder von fröhlichen Sommertagen schossen ihr durch den Kopf. Sie waren oft mit ihren Fahrrädern ins Grüne gefahren. Auf dem Rückweg hatten sie sich an der alten Tankstelle oben an der Straße ein Eis gekauft und dies am Fuße des Baumes gemeinsam gegessen. Obwohl der Herbst gerade erst Einzug hielt, kam es ihr vor wie eine Ewigkeit. Mit einem Ruck löste sie sich von dem Bild und schloss die Balkontür. Sie nahm ihre Tasche und den Schlüssel und atmete tief ein. Ihre Schritte hallten durch die leere Wohnung als sie hinaus ging.

10:10 a.m. 10°C

Vorfreude. Der Frühnebel lag noch sanft über den grünen Feldern als sie mit klopfendem Herzen ins Taxi stieg. Es ging los. Still lächelte sie vor sich hin. Was wartete wohl dieses Mal in der Ferne auf sie? ‚Zum Hauptbahnhof, bitte‘, wies sie den Fahrer auf seine Frage hin freundlich an. Er startete den Motor und beschleunigte in ruhigem Tempo den Wagen. Aufatmen. Nach einer Weile drehte sie sich noch einmal um, und sah gerade noch das sich stetig entfernende Haus hinter einer Kurve verschwinden. Ein kleines Stück Wehmut schlich sich in ihre kribbelnde Aufregung. Sie würde ihr Zuhause für eine ganze Weile nicht wiedersehen. Loslassen. Sie seufzte leise und schaute nach vorn die in der aufgehenden Sonne liegende Allee entlang. Stefan. Hatte er mit seiner Bemerkung gestern recht? War sie auf der Flucht? Und wovor eigentlich? Grübelnd lehnte sie sich an die bequeme Rückenlehne und schloss die Augen. Ruhig ließ sie den vergangenen Tag Revue passieren. Sie hatte das Projekt noch rechtzeitig und sehr erfolgreich zum Abschluss gebracht. Nach ihrer Rückkehr würde etwas Neues beginnen, doch sie wusste, dass auch der nächste Auftrag schon bald zur Routine verkommen würde. Alltagstrott. Ja, davor floh sie ganz bestimmt. Und auch vor diesen Tagen, die irgendwie nur aus Zähneputzen zu bestehen schienen. Schmunzelnd dachte sie an ihren Bruder, der für stressige Zeiten in seiner Agentur genau denselben Ausdruck gebrauchte. Denn an diesen nicht enden wollenden Projekttagen schien alle Zeit zwischen Morgen und Abend zu verschwimmen und zwischen dem Zähneputzen eins zu werden. In diesen intensiven Arbeitsphasen blieb nicht viel Zeit für Abwechslung und sie verbrachte die kurzen Abende oft erschöpft und in monotoner Langeweile allein vor dem Fernseher. Ein Frevel für den unternehmungslustigen, sportlich begeisterten Stefan. ‚Vielleicht fliehst Du vor Dir selbst?‘, hatte ihr alter Schulfreund zu späterer Stunde vorsichtig in sein leeres Glas gemurmelt. Stillstand. Sie schüttelte energisch mit dem Kopf und verwarf ihre trüben Gedanken. Sie war wieder unterwegs. Nur das zählte für die nächsten Wochen. Das Taxi hatte die Stadtgrenze bereits passiert und fuhr in einem leichten Bogen zwischen den sich auftürmenden Hochhäusern über den Ring auf den Hauptbahnhof zu. Ein Blick auf die Uhr versprach noch reichlich Zeit für einen Kaffee vor der Abfahrt des Zuges.
Südafrika. Sie hatte einen Traum. 1000 Sterne. Die Geparden. Ein Lächeln.

Alte Sachen

Durch das Seitenfenster fiel ein fahles Sonnenlicht in den Raum. Staubflocken tanzten durch den Windzug, den sie beim Öffnen der schweren Holztür mit ins Zimmer gebracht hatte. Sie blickte sich neugierig um. Hinter der Tür schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Die ehemalige Wohnstube ihrer Tante Ruth war voll gestellt mit alten Sachen. Sie machte die feinen Porzellanvasen, die ihre Tante mit viel Liebe auf ihren Reisen gesammelt hatte, zwischen zwei unfertig gepackten Kisten mit Büchern aus, alles von einer feinen grauen Staubschicht überzogen. An der Wand hingen alte Fotografien ihrer Familie. Die meisten Personen auf den Bildern hatte sie nie kennengelernt.
Sie erinnerte sich jedoch, dass die beiden kleinen Mädchen auf dem Bild in der Mitte ihre Mutter mit ihrer Schwester Ruth in der Sommerfrische an der Ostsee zeigte. So hatte ihre Tante das Bild gerne mit einem wehmütigen Lächeln im Gesicht beschrieben. Sommerfrische,- sie kicherte albern über das altertümliche Wort. Ihr Blick schweifte weiter über die antiken bordeauxfarbenen Sessel zurück zur Bücherkiste und blieb an einem der Bücher hängen. Zögernd trat sie einen Schritt näher und nahm den grünen Leinenband in die Hand. Ein paar der dünnen Seiten hatten sich über die Jahre gelöst und als sie sie vorsichtig zurückstecken wollte, bemerkte sie einen kleinen rosafarbenen Umschlag zwischen ihnen. Die zierliche Handschrift war fast verblichen, mit Mühe und Not konnte sie den Namen entziffern. „Für Sophie“, las sie und erschrak. Warum stand dort ihr Name? Mit zitternden Händen griff sie nach dem Brief.

Shopping, Kunst & Welfenspeise

Sie erreichte die M8 gerade noch bevor diese losfuhr. Schnell sprang sie die Stufen empor. Die Türen schlossen sich. Sie ließ sich erleichtert auf den nächsten Sitz fallen, stellte ihre Tasche mit den Einkäufen auf die Erde und lehnte ihre Stirn an das kühle Glas der Scheibe. Geschafft! Ruckelnd setzte sich die alte Bahn in Bewegung. Sie kannte diese Strecke. Schon hunderte Male war sie hier entlang gefahren, trotzdem entdeckte sie immer etwas neues. –
Die Blumenfrau an der Ecke hatte die ersten Frühlingsblüher vor die Tür gestellt. Die bunten Köpfe der Tulpen reckten sich vorsichtig den ersten warmen Sonnenstrahlen entgegen. Zartes Licht und sanfte Schatten wechselten sich zwischen den Häusern ab. Ach, das alte Café hatte endlich einen neuen Besitzer gefunden und erstrahlte nun in einem hellen Cremeton. Die rustikalen Landmöbel passten gut zu dem antiken Charme der großen Fenster. Auch die Läden waren neu gestrichen worden und leuchteten in einem goldigen Honigton, selbstverständlich passend zur hölzernen Außenbestuhlung. Unwillkürlich stieg ihr der Geruch von frisch gemahlenen Kaffee in die Nase und sie lächelte. Sie fingerte ein Croissant aus ihrer Tasche und biß genüßlich hinein. Beim nächsten Besuch sollte sie unbedingt einen Abstecher in das Café machen. Es sah einladend aus. Die Tram ruckelte derweil unentwegt der nächsten Haltestelle entgegen. Neugierig reckte sie den Hals. Über drei Jahre war sie nicht hier gewesen. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Es hatte sich einiges verändert.

 

Blauer Salon

Hellwach blickte sie in die Runde. Die Teamsitzung gestaltete sich anders als erwartet. Teamsitzung?! –
Waren sie noch ein Team?
Der runde Herr Meier, der bereits mehrmals durch auffälliges Magenknurren auf sich aufmerksam gemacht hatte, blickte alle fünf Minuten erstaunlich hektisch für sein sonst so ruhiges Gemüt auf die langsam vor sich hin tickende Bürouhr. Frau Krüger, die rechte und die linke Hand des Chefs, Herrn Müller-Kastrup, dem leicht chaotischen, aber fachlich brillianten Abteilungsleiter. Regelmäßig sprang sie auf und schenkte ihm Kaffee nach, stets liebevoll mit einem kleinen Keks dekoriert. Herr Müller-Kastrup referierte indessen ohne Unterlass und ohne eine Miene zu verziehen weiter. Dann Herr Schmidt, von den Kollegen wegen seiner hageren, schlaksigen Statur auch das Wiesel genannt. Er war scharf auf den Job des Chefs und die blondierte Marketing-Assistentin, die heute wegen einer Grippe fehlte. In seiner unnachahmlich polemischen Art kommentierte Herr Schmidt ungefragt jeden Beitrag mit spitzen Bemerkungen. Sie runzelte unbemerkt die Stirn. Sie mochte ihn nicht. Plötzlich wurde eine Stimme lauter und durchdrang ihre Gedanken. Sie war vom Thema abgeschweift. Worum ging es? Alle starrten Sie an.

Spurwechsel

Die alte Stahltür öffnete sich quietschend. Der monotone Lärm aus dem Gebäude schwoll an. Vorsichtig sah sie in den hell erleuchteten Maschinenraum. Der Geruch von Metall und Öl lag in der Luft. Es war niemand zu sehen. Seufzend durchquerte sie den Raum und stieg mit schweren Schritten die stählerne Treppe nach oben. Sie schloss die Tür zum Laborbereich auf und betrat das gläserne Kabinett. Ihr Blick fiel auf den Aufkleber neben dem Waschbecken. „Kein Trinkwasser!“ warnte er. Sie schüttelte unmerklich mit dem Kopf. Sie hatte vergessen, neues Wasser abzufüllen. Das Telefon klingelte. Der morgendliche Kaffee musste warten. Doch abrupt verstummte der schrille Ton wieder. Sie blickte erleichtert auf und ein kurzes Lächeln huschte über ihr müdes Gesicht. Der Maschinenraum lag verlassen vor ihr. Sie liebte diese frühe Stunde, wo die Arbeiter ihre erste Pause vor dem Radio im Nebenraum verbrachten. Waren die Maschinen erst eingestellt, liefen sie von allein. Aufmerksam horchte sie auf. Die Melodie kam ihr bekannt vor. Woher kannte sie dieses Lied? Als einer der Männer begann den Text mitzusingen, musste sie erneut lächeln. Ihre Gedanken schweiften ab zu einem unbeschwerten Sommertag, der längst vergessen schien.